Update: Die Regelungen sind per 01.11.2023 inkraftgetreten.
Die EU-Richtlinie 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige macht Änderungen in vielen Bereichen erforderlich. Ein Initiativantrag im Begutachtungsstatus sieht Folgendes vor:
- Zwei unübertragbare Monate Karenz je Elternteil, dh Anspruch auf volle Karenzdauer besteht nur noch bei Karenzteilung oder Alleinerziehern
- Erweiterung der Pflegefreistellung
- Erweiterung des Diskriminierungsschutzes im Gleichbehandlungsgesetz
- Verdoppelung des Familienzeitbonus
Die EU-Vorgaben lassen meist wenig Spielraum, das Parlament wird die Gesetzesnovelle also im Herbst – allenfalls mit kleinen Nachbesserungen – beschließen. Das In-Kraft-Treten war ursprünglich rückwirkend mit 01.08. geplant, dies wurde aber wegen der umfangreichen Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren auf 01.11.2023 verschoben.
Änderungen im Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz
Die Gesetzesänderungen sind für Geburten, Adoptionen und Inpflegenahmen ab 01.11.2023 anwendbar.
Volle Elternkarenz nur noch bei Karenzteilung bzw. Alleinerziehern
Anspruch auf volle Karenzdauer bis zum vollendeten 2. Lebensjahr des Kindes gibt es nur mehr dann, wenn jeder Elternteil mindestens zwei Monate in Karenz geht. Nimmt aber nur ein Elternteil Karenz, endet der Karenzanspruch schon nach dem 22. Lebensmonat des Kindes. Von dieser Kürzung sind Alleinerziehende ausgenommen, dh wenn kein anderer Elternteil vorhanden ist bzw. der andere Elternteil nicht im selben Haushalt lebt. Ein späterer "Verlust" dieses Status verursacht keine Änderung – umgekehrt jedoch, wenn zB der andere Elternteil aus dem gemeinsamen Haushalt auszieht, kann eine Verlängerung auf 24 Monate geltend gemacht werden. Grundsätzlich kommt es für den Status „alleinerziehend“ auf den Zeitpunkt der Karenzmeldung an.
Für die betriebliche Praxis bedeutet das dann: Möchte eine Person Elternkarenz in voller Dauer (also länger als bis zum 22. Lebensmonat des Kindes), muss sie dem Arbeitgeber schriftlich bestätigen, dass sie alleinerziehend ist. Bei Nichtvorlage dieser Bestätigung kann der Arbeitgeber die Gewährung der Karenz mit dem 22. Lebensmonat begrenzen (Dienstantrittspflicht bereits 22 Monate nach der Geburt). Gestattet der Arbeitgeber in diesem Fall dennoch eine längere Karenz, handelt es sich arbeitsrechtlich gesehen um eine vertraglich vereinbarte Karenzierung, ohne besonderen Kündigungs- und Entlassungschutz (es sei denn, es gäbe einen gültigen Antrag auf Elternteilzeit) oder zwingende Anrechnung von dienstzeitabhängigen Ansprüchen.
Änderungen bei der aufgeschobenen Karenz
Bei einer „aufgeschobenen Karenz“ (Mutter und Vater können jeweils drei Monate für einen späteren Zeitpunkt aufheben, max. bis zum 7. Lebensjahr) kommt es zu zwei Änderungen:
- Der Arbeitgeber muss bei Ablehnung des Wunschs auf Karenzaufschiebung diese schriftlich begründen.
- Zudem wird ein neuer Motivkündigungsschutz geschaffen: Eine Kündigung wegen beabsichtigter oder tatsächlich geltend gemachter aufgeschobener Karenz kann als motivwidrige Kündigung beim Arbeits- und Sozialgericht angefochten werden. Vor Einbringung der Klage kann der/die Arbeitnehmer:in vom Arbeitgeber eine schriftliche Begründung der Kündigung verlangen.
Ablaufhemmung von Verjährungs- und Verfallsfristen
Im Mutterschutz- und im Väter-Karenzgesetz wird eine neue Regelung eingefügt, wonach der Ablauf von gesetzlichen, kollektiv- und dienstvertraglichen Verjährungs- und Verfallsfristen für bei Karenzbeginn bereits erworbene Ansprüche bis zwei Wochen nach Karenzende gehemmt wird. Damit wird sichergestellt, dass die betreuenden Eltern während der Karenz keine davor zustehenden Ansprüche durch Verjährung oder Verfall verlieren.
Elternteilzeit bis zum vollendeten 8. Lebensjahr des Kindes
Die geplante Ausweitung des äußersten Zeitrahmens für Elternteilzeiten vom 7. auf das 8. Lebensjahr des Kindes wird etwas umständlich geregelt. Die geplante Neuerung betrifft nicht nur die Anspruchsvariante (3 Jahre Betriebszugehörigkeit in Betrieb > 20 Arbeitnehmer:innen), sondern auch die Vereinbarungsvariante (weniger als 3 Jahre Betriebszugehörigkeit oder Betrieb mit max. 20 Arbeitnehmer:innen).
Elternteilzeit soll demnach künftig möglich sein
▪ bis zum Ablauf des 8. Lebensjahres des Kindes (Rahmenzeitraum),
▪ innerhalb dieses Zeitrahmens jedoch nur im Ausmaß von max. sieben Jahren (Zeit des Beschäftigungsverbotes/Mutterschutz nach Geburt und Karenzzeiten für dasselbe Kind werden abgezogen)
Das Ziel dieser Bestimmung scheint in der Erfüllung der Vorgabe durch die der EU-Richtlinie („bis zum Alter von acht Jahren“) in formaler Hinsicht bei gleichzeitiger Begrenzung der Elternteilzeit de facto ohnehin wieder mit dem 7. Lebensjahr.
Beispiel: Geburt 03.12.2023, Mutterschutz nach der Geburt: bis 28.01.2024 (56 Kalendertage/KT)
Karenz der Mutter: 29.01.2024 bis 03.10.2025 (614 KT)
Karenz des Vaters: 04.10.2025 bis 03.12.2025 (61 KT)
Gewünschte Elternteilzeit (Mutter und/oder Vater): ab 04.12.2025, bis wann?
Lösung: Elternteilzeitanspruch: 7 Jahre = 2.557 KT (unter Einrechnung von 2 darin liegenden Schaltjahren: 365 * 7 + 2 = 2.557), wobei Mutterschutzzeit nach Geburt und Karenzen beider Elternteile abgezogen werden: 2.557 KT – 56 KT – 614 KT – 61 KT = 1.826 KT
Ausgehend vom 04.12.2025 (Elternteilzeitbeginn) ist Elternteilzeit bis 03.12.2030 möglich (entspricht hier punktgenau dem 7. Geburtstag des Kindes)
Änderung bei Motivkündigung wegen Elternteilzeit nach dem 4. Lebensjahr des Kindes
Die vorstehend beschriebene Adaptierung ändert nichts daran, dass der besondere Kündigungsschutz höchstens bis zum Ablauf des 4. Lebensjahres des Kindes (plus vier Wochen Behaltefrist) läuft. Dauert eine Elternteilzeit länger als bis zum 4. Geburtstag bzw. beginnt erst danach, kann eine Kündigung wegen einer beabsichtigten oder tatsächlich konsumierten Elternteilzeit angefochten werden. Diesen Motivkündigungsschutz gab es auch bisher schon. Neu ist, dass der Arbeitgeber künftig auf ein schriftliches Verlangen des/der Arbeitnehmer:in die Kündigung schriftlich begründen muss. Die schriftliche Begründung soll dem/der Arbeitnehmer:in ermöglichen, die Prozesschancen besser einschätzen zu können. Eine verlangte schriftliche Kündigungsbegründung nicht auszustellen, hat zwar auf die Rechtswirksamkeit der Beendigung keine Auswirkung, könnte aber in einem folgenden Gerichtsprozess schlechte Optik für den Arbeitgeber bedeuten.
Änderungen im Urlaubsgesetz bzgl. Pflegefreistellung
Die Gesetzesänderungen sollen lt. aktuellen Informationen mit 01.11.2023 in Kraft treten.
Erweiterung der Pflegefreistellung: Angehörige:r ODER Haushaltsmitglied
Die Voraussetzungen für die Pflegefreistellung wegen notwendiger Pflege einer erkrankten Person werden gelockert:
- Bei den „nahen Angehörigen“ (Ehegatt:in, eingetragene:r Partner:in, Lebensgefährt:in, Großeltern, Eltern, Kind, Adoptivkind, Pflegekind, Stiefkind) ist eine Pflegefreistellung künftig auch möglich, wenn kein gemeinsamer Haushalt besteht (zB Pflege der erkrankten Mutter durch den bereits ausgezogenen erwachsenen Sohn).
- Außerdem wird der Kreis der potenziellen „Pfleglinge“ erweitert: Pflegefreistellung soll es auch zur Pflege von Personen im gemeinsamen Haushalt geben, die keine Angehörigen sind (zB Mitbewohner:innen in einer Wohngemeinschaft).
Motivkündigungsschutz bei Pflegefreistellung
Neu eingeführt wird ein Motivkündigungsschutz für Fälle einer Kündigung wegen der Pflegefreistellung, ob beabsichtigt oder bereits in Anspruch genommen. Der Arbeitgeber muss auf ein schriftliches Verlangen des/der Arbeitnehmer:in eine schriftliche Begründung der Kündigung ausstellen. Wiederum gilt, dass die Nichtausstellung einer verlangten schriftlichen Kündigungsbegründung zwar auf die Rechtswirksamkeit der Beendigung keine Auswirkung hat, aber im Falle eines nachfolgenden Gerichtsprozesses schlechtes Licht auf den Arbeitgeber werfen könnte.
Änderungen im AVRAG
Die Gesetzesänderungen sollen lt. aktuellen Informationen mit 01.11.2023 in Kraft treten.
Begründungspflicht bei Ablehnung von Betreuungsteilzeit, 50plus-Teilzeit, Pflegekarenz/-teilzeit
Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Arbeitgeber eine sachliche und schriftliche Begründung abgeben muss, wenn sie eine von dem/der Arbeitnehmer:in beantragte Arbeitszeitreduktion ablehnt, die der/die Arbeitnehmer:in zur Betreuung eines nahen Angehörigen wünscht oder wenn der/die Arbeitnehmer:in bereits das 50. Lebensjahr vollendet hat. Eine sachliche und schriftliche Begründungspflicht des Arbeitgebers wird eingeführt, wenn der Arbeitgeber eine von Arbeitnehmer:in beantragte Pflegekarenz oder Pflegeteilzeit ablehnt. Eine Sanktion für die Nichtabgabe einer Begründung sieht der Entwurf nicht vor.
Hospizkarenz/-teilzeit für schwersterkrankte Kinder auch ohne gemeinsamen Haushalt
Bisher war es für den Anspruch auf Familienhospizkarenz bzw. Familienhospizteilzeit zur Begleitung eines schwersterkrankten Kindes erforderlich, dass ein gemeinsamer Haushalt mit dem Kind besteht. Diese Voraussetzung wird ersatzlos gestrichen. Somit ist künftig auch ein vom Kind getrennt lebender Elternteil anspruchsberechtigt.
Ablaufhemmung von Verjährungs- und Verfallsfristen
Weiters ist im Entwurf eine Ablaufhemmung von Verjährungs- und Verfallsfristen für Zeiten einer Familienhospiz- oder Pflegekarenz vorgesehen. Der Ablauf von gesetzlichen, kollektiv- und dienstvertraglichen Verjährungs- und Verfallsfristen für die bei Maßnahmenbeginn bereits erworbenen Ansprüche wird bis zwei Wochen nach Ende der Familienhospiz- bzw. Pflegekarenz gehemmt. Damit soll sichergestellt werden, dass die mit einer Sterbebegleitung, der Begleitung eines schwersterkrankten Kindes oder der Pflege eines nahen Angehörigen psychisch belastete Person keine Ansprüche durch Verjährung oder Verfall verliert.
Änderungen im Gleichbehandlungsgesetz
Ab voraussichtlich 01.11.2023 soll das Gleichbehandlungsgesetz auch auf Diskriminierungen anwendbar sein, bei denen zwar der Diskriminierungsgrund Geschlecht nicht vorliegt, die aber mit
- Elternkarenz, Elternteilzeit, Papamonat,
- Pflegefreistellung,
- dringender familiärer Dienstverhinderung infolge Erkrankung oder Unfall oder
- Betreuungsteilzeit
im Zusammenhang stehen. Damit werden für derartige Fälle einerseits die Rechtsfolgen des Gleichbehandlungsgesetzes (Gleichstellungsansprüche, Schadenersatz etc.) und andererseits die Zuständigkeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft und -kommission „aktiviert“.
Familienzeitbonus (finanzielle Leistung für den „Papamonat“) wird verdoppelt
Der „Papamonat“ wird vom Krankenversicherungsträger in Form des Familienzeitbonus finanziell gefördert. Die Leistung beträgt derzeit EUR 23,91 täglich (Wert 2023). Um mehr Väter für den „Papamonat“ zu motivieren, soll der Familienzeitbonus für Geburten ab voraussichtlich 01.11.2023 auf EUR 47,82 pro Tag verdoppelt werden.
Stand: 06.11.2023
Erstellt: 01.08.2023
Quelle: Kraft & Kronberger Fachpublikationen
Foto: Karolina Grabowska